Taktik-Nachlese zum Spiel FCI-FCK

Die DBB-Analyse: Früh attackiert, spät verloren

Die DBB-Analyse: Früh attackiert, spät verloren

Foto: Imago Images

Auch gegen Tabellenzweiten FC Ingolstadt beeindruckt der 1. FC Kaiserslautern mit seiner neuen, forschen Gangart - die Punkte aber verbleiben diesmal beim Gegner. Jetzt heißt es, positiv bleiben, und vor allem: mutig

In so ziemlich allen Spielberichten bislang ist das Problem mit der "Chancenverwertung" breitgetreten worden, und beim Betrachten der einzelnen Szenen, die dieses dokumentieren, raufen sich die leidgeprüften FCK-Fans immer noch die Haare. Dieser Analyse soll daher eine Momentaufnahme vorangestellt werden, die es in die diverse Zusammenschnitte nicht geschafft hat.

79. Minute: Der FC Ingolstadt klärt einen hohen Flugball in den eigenen Strafraum. Noch am eigenen Sechzehner wird Stürmer Dennis Eckert Ayensa eingesetzt, der daraufhin zum ganz langen Lauf Richtung Lautrer Strafraum ansetzt. Der einzige, der sich ihm in den Weg stellt, kurz hinter der Mittellinie, ist Hikmet Ciftci. Den kassiert Eckert Ayensa recht locker, anschließend sprintet er allein aufs FCK-Tor zu - und es sieht ganz danach aus, dass, wenn überhaupt, nur noch Keeper Avdo Spahic mit einem hochriskanten Einsatz einen Treffer verhindern kann.

Doch dann geschieht Überraschendes: Anas Bakhat und Kenny Redondo hatten sofort nach dem Ballverlust den Rückwärtsgang eingeschaltet, sind über rund 60 Meter im Vollsprint geblieben, obwohl ihnen die Chance, noch eingreifen zu können, minimal erschienen sein muss. Und sie schaffen es tatsächlich noch, Eckert Ayensa zu stoppen, ehe Spahic Kopf und Kragen riskiert. Was an dieser Szene so bezeichnend ist für dieses Spiel?

Hälfte eins: 1a-Gegenpressing wie aus der Klopp-Schule

Zum einen zeigt sie, mit welcher Intensität die Roten Teufel hinter verloren gegangenen Bällen herjagen, seit Marco Antwerpen auf der Trainerbank sitzt. Wobei sie so weite Wege wie in dieser Szene in dieser Partie nur selten gehen müssen. Vor allem in der starken ersten Hälfte attackiert die Elf bereits in unmittelbarer Nähe der Stelle, an der das Leder abgegeben wird - innerhalb der vier bis sechs Sekunden, die die Lehrmeister des sogenannten Gegenpressings als ideal erachten. Einmal nageln Jean Zimmer und Redondo ihre Gegner sogar an der linken Eckfahne der Ingolstadter Torauslinie fest, um sich den Ball zurückzuholen.

Die Art, wie Ingolstadt zu dieser Kontermöglichkeit kommt, zeigt aber auch, wie hoch die Männer in Rot unter Antwerpen nunmehr aufrücken - und dass dieses Höherstehen selbstverständlich auch Risiken birgt. Andererseits: Wer punkten will, muss auch was riskieren, das hat gerade die jüngste Vergangenheit gelehrt.

Das Tiefstehen, das Antwerpens Vorgänger Jeff Saibene praktizieren ließ, schafft lediglich trügerische Sicherheit - gegen Mannschaften, die ebenso zaghaft agieren. Teams, die forsch attackieren, etwa Saarbrücken, 1860 München, Dresden und Wiesbaden, kamen gegen tiefstehende Lautrer zu Torchancen en masse. Unterm Strich stehen 21 Punkte in 20 Spielen unter Saibene - und ein Torverhältnis von 20:24. Das spricht für sich.

Hälfte zwei: Der Mut ist noch da, die Konzentration lässt nach

Der Zeitpunkt, zu dem Ingolstadt zu dieser Chance kommt, zeigt aber auch: In dieser Phase hat die Konzentration im Spiel der Gäste bereits deutlich nachgelassen. Die erste Hälfte hatte Antwerpens Elf nahezu perfekt dominiert, lediglich eine Kopfballchance des starken Caiuby nach einer Ecke zugelassen, und das, obwohl der Trainer schon nach einer Viertelstunde Bakhat für den verletzt ausscheidenden Carlo Sickinger bringen muss. In der zweiten Hälfte jedoch mehren sich die Abwehrfehler. Wenige Minuten vor der Ayensa-Aktion lassen bereits Caiuby und der eingewechselte Caniggia Elva Top-Gelegenheiten für Ingolstadt liegen.

Der Zeitstrahl der "expected Goals" (xG) bestätigt, wie stark Ingolstadt in Hälfte zwei aufkam.

xG-Plot FCI-FCK

Wieder mal zeigt sich: Von der Bank kommen keine frischen Impulse

Das Beispiel Elva wiederum zeigt: Der Gegner vermag Personal von der Bank zu bringen, die das eigene Spiel noch einmal entscheidend beleben. Elva ist nach seiner Einwechslung in der 65. Minute der gefährlichste Stürmer auf dem Platz. Und mit Justin Butler markiert ein weiterer eingewechselter Spieler den Siegtreffer für die Schanzer - die Vorlage liefert Elvas.

Und bei Lautern? Nach der verletzungsbedingten frühen Auswechslung nimmt Marco Antwerpen ab der 73. Minute noch vier weitere vor - als wirklich belebend erweist sich keine davon. Dem FCK gelingt es zwar auch, über weite Strecken der zweiten Hälfte den Ball vom eigenen Tor wegzuhalten. Selbst nach dem späten Gegentreffer in der 85. Minute war das Bemühen, noch einmal zurückzuschlagen, durchaus noch erkennbar. Doch Kraft, Konzentration und damit auch die Präzision hatten bereits zu stark nachgelassen. Ein derart intensives Spiel mit Pressing und Gegenpressing, wie es die Lautrer in Hälfte eins geboten hatten, lässt sich eben nicht über neunzig Minuten durchhalten - erst recht nicht, wenn von der Bank keine Blutauffrischung auf gleichwertigem Niveau erfolgt.

Die mangelnde Chancenverwertung: Was ist da dran?

Das bis zum Geht-nicht-mehr angeführte Phänomen der "mangelnden Chancenverwertung" lässt sich dagegen kaum mit einem nüchtern analysierendem Verstand erfassen. Fortwährend über fehlende Qualität der Offensivpersonals, beziehungsweise das Fehlen eines "echten Torjägers" zu schwadronieren, ist müßig.

Marvin Pourié, Kenny Redondo, Daniel Hanslik, Marlon Ritter, Marius Kleinsorge und der derzeit nicht berücksichtigte Elias Huth haben in ihrem erwachsenen Fußballerleben zusammen bislang 404 Treffer erzielt, davon 105 in der 3. Liga. Sie können es also.

Dass es derzeit nicht klappt, kann also kaum eine Frage fehlender Qualität sein. Eher eine des fehlenden Selbstvertrauens, das sich halt erst mit zunehmenden Erfolgen wieder einstellen kann. Oder der richtigen Besetzung. Oder der Spielanlage, die die Fähigkeiten jedes Einzelnen zur Geltung zu bringen.

Pourié: "Ladehemmung" oder Rollenverschiebung?

So wird beispielsweise viel über Pouriés "Ladehemmung" gesprochen. Doch fällt auf, dass er in den ersten Spielen unter Antwerpen zuletzt vorne kaum noch in Schusspositionen kam - auch wenn er auf dem Papier als einzige Sturmspitze geführt ist. Seine Aufgabe scheint nun aber eher darin zu bestehen, im Zentrum die Wege für seine Neben- und Hintermänner zu öffnen. So ließ ihn Antwerpen zuletzt auch in Braunschweig agieren, wo Pourié ebenfalls nicht als Torjäger auffiel und dennoch als Aktivposten galt.

Auch in Lautern hatte die Karlsruher Leihgabe in den jüngsten drei Spielen durchaus starke Szenen. Vor Wochenfrist gegen den FC Bayern II bescherte er etwa Kleinsorge eine Topchance. Will sagen: Würden die, die er einsetzt, treffen, wäre Pouriés "Ladehemmung" nicht weiter tragisch.

Die Positions- und Passgrafik zeigt allerdings, dass er am Samstag auch als Anspielstation nicht gut im Spiel war.

Passmap FCK

Auffällig an dieser Grafik ist auch diesmal, wie wichtig die Außenverteidiger als Anspiel- und Umschaltstationen geworden sind. Wobei diesmal Zimmer besser im Spiel war als Zuck - in den jüngsten beiden Partien war es noch umgekehrt.

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik des FC Ingolstadt. Ganz schön weit auseinander gezogen, deren Spiel.

Passmap FCI

Marius Kleinsorge, den Antwerpen so effektvoll wiederbelebt hat, kann gegen Ingolstadt übrigens unter anderem deswegen nicht von Beginn an ran, weil er schon länger an Leistenbeschwerden laboriert. Zu allem Unglück kommt also auch noch Verletzungspech dazu.

Und was heißt das nun? Angesichts des Tabellenplatzes 14 und nur noch einem Punkt Vorsprung auf die bei Platz 17 beginnenden Abstiegsränge, wobei die dahinter liegende Konkurrenz noch in Nachholspielen punkten kann? Ganz einfach: "Positiv bleiben", wie es auch Innenverteidiger Alex Winkler nach der unglücklichen 0:1-Niederlage ausgedrückte.

Jetzt kommen die Gegner, gegen die gepunktet werden muss

Der Unterschied zwischen Topmannschaften und Kellerkindern in der 3. Liga besteht in erster Linie darin, dass die an der Spitze eben die entscheidenden Momente zu nutzen verstehen, die anderen nicht. Ein gegnerisches Team wirklich über 90 Minuten beherrschen kann keiner. Das hat die Partie gegen den Tabellenzweiten einmal mehr gezeigt.

In den nächsten sechs Wochen trifft der FCK mit Hansa Rostock nur noch ein einziges Mal auf ein sogenanntes Topteam. Ansonsten heißen die Gegner Meppen, Zwickau, Magdeburg, Halle und Lübeck. Wenn die Lautrer sich ihren Mut zu frühem Pressing und beherztem Gegenpressing bewahren, werden da die nötigen Punkte eingefahren werden. Zudem wird der neue Rollrasen, der jetzt auf dem Betzenberg verlegt und bereits gegen Meppen zur Verfügung stehen wird, den Zufallsfaktor in Heimspielen weiter eliminieren.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2020/21: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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